Natürlich heilen, aber wie?

Mehr als hundert verschiedene Naturheilverfahren, also Methoden, die in der Natur vorhandene Stoffe (z. B. Pflanzen, Nahrungsmittel, Mineralien) oder Kräfte (z. B. Wärme, Licht, Wind, Magnetismus, Körperkraft, Berührung) zu Heilzwecken nutzen, werden heute im deutschen Sprachraum angewendet.

Ursprünglich stützten sich Ärzte vor allem auf Wasserbehandlungen, Wärme- und Kältetherapie, Atem- und Bewegungstherapie, Pflanzenheilkunde und die auf eine gesunde Lebensführung abzielende Ordnungstherapie. Diese Verfahren werden deshalb manchmal auch als klassische Naturheilverfahren bezeichnet.

Während manche Naturheilverfahren Eingang in die an Universitäten gelehrte Schulmedizin gefunden haben – das gilt z. B. für viele physikalische Verfahren und für Teile der Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) – werden andere von der Schulmedizin abgelehnt, wie z. B. die klassische Homöopathie.

Die am Rande oder außerhalb der Schulmedizin praktizierten Verfahren werden zusammenfassend oft als Alternativmedizin bezeichnet. Allerdings haben längst nicht alle von der Schulmedizin abgelehnten Verfahren den Anspruch, die Schulmedizin zu ersetzen. Stattdessen verstehen sie sich eher als eine Ergänzung zur konventionellen Medizin. Wir Autoren von Gesundheit heute bevorzugen deshalb den Begriff der Komplementärmedizin (ergänzende Medizin).

Die Schulmedizin macht in jüngster Zeit Anstrengungen, die Naturheilverfahren wissenschaftlich zu prüfen und integriert komplementärmedizinische Verfahren zunehmend in ihre Behandlungspläne. Die so entstehende integrative Medizin verbindet sozusagen beide Welten.

Die komplementäre Medizin ist in den letzten Jahrzehnten in allen Industrieländern ungeheuer populär geworden. Mehr als 50 % der Patienten nutzen sie regelmäßig – mit regional stark unterschiedlichen Präferenzen. So ist die hierzulande sehr breit genutzte Homöopathie in den USA nur wenig bekannt, während sich dort dafür Osteopathie, Chiropraktik und naturopathic medicine (ein eigenes System aus Lebens- und Ernährungsregeln sowie bestimmten traditionellen Diagnose- und Therapietechniken) fest etabliert haben.

Durch ihre Popularität werden Naturheilverfahren allerdings auch zunehmend zum Zielobjekt renditesüchtiger Strategen: Die Anti-Aging-Medizin bedient sich zahlreicher, angeblich natürlicher Heilmittel, und auch die Zeitschriften- und Buchverlage unterstützen mit unzähligen Veröffentlichungen diesen Trend – man denke nur an über Nacht populär gewordene Methoden wie Eigenurintherapie, Apfelessig oder die Blutgruppendiät. In Gesundheit heute ist der Anti-Aging-Medizin ein eigener Abschnitt gewidmet.

Die Wurzeln der Alternativmedizin

Viele der heute populären komplementären Verfahren stammen aus anderen Kulturräumen; sie wurden im Zuge der Alternativbewegung in die Industrieländer „exportiert“ – das gilt für die Traditionelle Chinesische Medizin ebenso wie für die ayurvedische Medizin.

Andere Verfahren stellen dagegen universelle Heilpraktiken dar, die in vielen oder sogar in allen Kulturen genutzt wurden. Vor allem die Massagetechniken, Mind-Body-Therapien und die Phytotherapie wurden zu allen Zeiten rund um den Globus angewandt – sogar Tiere können dabei beobachtet werden, wie sie bei bestimmten Krankheiten spezielle Kräuter bevorzugen.

Viele häufig genutzte Verfahren wie Homöopathie, Osteopathie, anthroposophische Medizin und Bach-Blütentherapie entstanden in den „Gründerwirren“ der wissenschaftlichen Medizin – hier prallten verschiedene, noch kaum überprüfbare Erklärungen für schon exakt beschriebene Krankheiten aufeinander und brachten konkurrierende Denksysteme hervor.

Der Ursprung vieler dieser Verfahren war die Unzufriedenheit mit dem herrschenden Medizinsystem. Samuel Hahnemann etwa, der Begründer der Homöopathie, war zutiefst von den brutalen und für den Patienten nicht selten tödlichen Behandlungsmethoden seiner Zeit (wie Aderlässe, Abführmaßnahmen, Chirurgie ohne Betäubung) abgestoßen. Dasselbe gilt für Edward Bach, den Gründer der Bach-Blütentherapie. Noch heute spielt die Unzufriedenheit mit dem Medizinbetrieb bei der Nutzung von komplementären Verfahren eine große Rolle. Sehr viele Patienten lassen sich alternativmedizinisch behandeln, weil sie sich als Menschen im schulmedizinischen Betrieb nicht ernst genommen fühlen.

Erwartungen

Wer komplementäre Verfahren nutzt, wünscht sich eine dem Menschen zugewandte Medizin. Man will kein „Fall“ sein, sondern ein Mensch mit einer (Krankheits-)Geschichte. Einer Geschichte, an der der Arzt teilnimmt.

Auch eine aktivere Rolle gehört zu den Wünschen, die viele Menschen mit der Komplementärmedizin verbinden: Sie wollen nicht nur Rezepte abholen, sondern auch ein Verständnis entwickeln für das, „was ihnen fehlt“ – und dies ist oft genug eben nicht nur ein bestimmtes Medikament, sondern vielleicht auch ein tieferer Bezug zum Leben.

Praktisch alle Patienten aber sehen in komplementären Verfahren eines: Methoden ohne schwere Nebenwirkungen. Und dieser Anspruch wird auch von den meisten dieser Verfahren erfüllt – etwa der Homöopathie und der Akupunktur.

Dennoch: Nebenwirkungen können auch bei „natürlichen“ Verfahren vorkommen – so mussten auch in der Phytotherapie schon Präparate vom Markt genommen werden. Und jedes Jahr gibt es weltweit immerhin etwa zehn Todesfälle nach manuellen Manipulationen, vor allem der Halswirbelsäule.

Wirkungsweise

Jedes Verfahren bietet eine Erklärung dafür an, warum und wie es wirkt. Manche dieser Denkmodelle passen zum gegenwärtigen wissenschaftlichen Verständnis, andere berufen sich auf Wirkmechanismen, die wissenschaftlich derzeit nicht nachvollzogen werden können. Diese Methoden werden auch als Außenseitermethoden oder als Paramedizin bezeichnet. So ist etwa die Wirkung von Heilpflanzen und von physikalischen Methoden naturwissenschaftlich plausibel, die der Kraniosakraltherapie oder der Homöopathie dagegen entzieht sich dem derzeitigen wissenschaftlichen Verständnis.

Paramedizinische Erklärungen werden heute so selbstverständlich gebraucht, dass viele Menschen annehmen, dahinter verberge sich gesicherte Wissenschaft. Begriffe wie Entschlackung, Entgiftung, Energieblockaden oder Entstörung können aber nur aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang verstanden werden, eine direkte naturwissenschaftliche Entsprechung haben sie nicht.

Das Zwei-Quellen-Prinzip

Dass die Wirkung eines Verfahrens wissenschaftlich nicht verstanden wird oder von der derzeitigen Wissenschaft abgelehnt wird, spricht nicht grundsätzlich gegen seine Wirksamkeit. Denn zum einen entwickelt sich auch die Wissenschaft fort. Manche Außenseitermethode ist heute in die Schulmedizin integriert – man denke etwa an die anfangs belächelte Vollwerternährung. Auch dass viele alternative Verfahren mit ganz eigenen Begriffen arbeiten, ist kein Argument gegen ihre Wirkung: Zeitbedingte oder esoterische Begriffe, wie etwa der „Astralleib“ der Anthroposophie, die für die meisten Menschen keinen „Sinn“ machen, können durchaus in ein System passen, das in seiner Ganzheit funktioniert. Und zum Dritten: „Die“ Wirkung eines Verfahrens gibt es nicht.

Denn was der Arzt dem Patienten reicht – ob in der Schulmedizin oder in der Komplementärmedizin – hat immer zwei Aspekte. Im Grunde nämlich handelt es sich um ein Paket:

  • Da ist zum einen die – mehr oder weniger ansehnliche und aufwendige – Verpackung.
  • Und zum anderen der Inhalt des Pakets.

Der Inhalt. Ein Verfahren kann durch den zugeführten Stoff oder andere unmittelbare Effekte, d. h. „aus sich selbst heraus“ wirken. Man nennt diesen – unmittelbaren – Anteil der Wirkung auch die spezifische Wirkung (substanzielle Wirkung, spezifischer Effekt) des Verfahrens. Beispiel Pflanzenmedizin: Die spezifische Wirkung geht hier von den Inhaltsstoffen der Pflanze aus, die in die biologischen Vorgänge im Körper eingreifen. Oder die Akupunktur: Die spezifische Wirkung ergibt sich der Traditionellen Chinesischen Medizin zufolge durch die Einwirkungen der gesetzten Nadeln auf den Energiefluss im Körper – kein Wunder, dass die Akupunktur die Nadelung an genau festgelegten Körperpunkten vorsieht.

Die Verpackung. Aber auch Einflüsse, die mit dem Verfahren nur „lose verbunden“ sind, können die Wirkung erklären. Ein Paket ist eben mehr als das überreichte stoffliche Etwas, es besteht auch aus der „Hülle“ drumherum – und dazu gehört nicht nur das glänzende Papier, sondern auch die „kitzelnde Neugier“, die Vorfreude und vielleicht auch die Genugtuung darüber, jemandem wichtig zu sein. Auf die Medizin übertragen sind solche unspezifischen Wirkungen (unspezifische Effekte, kontextuale Effekte) z. B. die mit jeder Therapie verbundene menschliche Zuwendung, der „ordnende“ Eingriff in das Leben des Betroffenen und der viel diskutierte Placebo-Effekt. Eine Heilpflanze wird eben nicht nur geschluckt, sondern liebevoll zubereitet und als dampfende, womöglich ans Bett gebrachte Tasse Tee, eingenommen. Auch bei der Akupunktur werden nicht nur Nadeln in der Haut versenkt, sie werden vielmehr in einer Art „therapeutischem Ritual“ angewendet. Möglicherweise sorgt dieser Rahmen dafür, dass auch die „zufällige“ Nadelung außerhalb der von der chinesischen Medizin angenommenen „Energiekanäle“ eine (in diesem Falle unspezifische) Wirkung zeigt.

Unspezifische Wirkungen – wie sie sich erklären lassen

Unspezifische Wirkungen sind keine Scheinwirkungen und auch nicht „nur Placebo-Effekte“. Im Gegenteil: Sie stimulieren die Selbstheilungskräfte und können so einen entscheidenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen.

Eine manchmal unterschätzte, unspezifische Wirkung ist auch das: Jede Therapie braucht Zeit – und diese Zeit wird auch von der Natur genutzt. Viele Krankheiten werden nun einmal von selbst besser – von Prellungen über Rückenschmerzen bis hin zu Erkältungskrankheiten.
Deshalb formulierte der Dichter Voltaire einmal eine Spitze gegen die damalige Schulmedizin, als deren edelste Aufgabe er es ansah, den Patienten abzulenken, damit die Zeit ihr Werk in Ruhe vollbringen kann.

Ein Beispiel: Als die zweite Flasche Hustensaft zu Ende war, war der Husten der kleinen Mareike noch kein bisschen besser. Anstatt zum Kinderarzt, bringt Frau W. ihr Kind diesmal zum Heilpraktiker. „Keine Frage“, sagt der nach einer gründlichen Untersuchung, „hier kann eine Konstitutionsbehandlung helfen. Ich schlage eine Darmsanierung vor.“ Die verordneten Tröpfchen werden eingenommen, nach zwei Wochen ist der Husten weg. Hat nun die „Darmsanierung“ geholfen oder wurde Frau W. lediglich im Sinne Voltaires „abgelenkt“?

Wirkung: unbestreitbar

Dass Naturheilverfahren wirken, ist unbestreitbar. Millionen von Patienten haben durch Naturheilverfahren Besserung erfahren. Und die Zufriedenheit mit Naturheilverfahren ist bei den Nutzern generell hoch – meist um einiges höher als in der Schulmedizin. Und was die Naturheilkunde auch für sich in Anspruch nehmen kann: Sie wirkt manchmal auch dort, wo die Schulmedizin nicht (mehr) helfen kann – so konnte die Akupunktur manchen Migränepatienten helfen, die in der Schulmedizin erfolglos behandelt wurden. Wenn Kritiker der Naturheilkunde also behaupten, die „sanften“ Verfahren seien ansprechend und sympathisch, wirkten aber nicht, so stimmt das ganz offensichtlich nicht.

Spezifisch oder unspezifisch?

Allerdings: Dass die Wirkung spezifisch ist, ist bisher nur für die wenigsten Naturheilverfahren belegt. Die Phytotherapie gehört zu den wenigen Methoden, die die spezifische Wirksamkeit einzelner Heilstoffe durch wissenschaftliche Studien belegen kann. Bei vielen anderen Verfahren verlief die Suche nach einer spezifischen Wirkung dagegen bisher eher enttäuschend: So ist das in Deutschland am häufigsten angewandte Naturheilverfahren, die Homöopathie, bisher nicht durch systematische Arzneimittelprüfungen im Sinn der evidenzbasierten Medizin untermauert, und auch die Akupunktur kann nicht uneingeschränkt als spezifisch wirksam gelten.

Wissenschaftliche Prüfung: Kontra!

Doch auf die „Wirkung unter dem Strich“ kommt es an. Und dabei, so meinen nicht wenige Verfechter von Naturheilverfahren, könnte man es doch belassen. Ob sich die Wirkung auf spezifische oder unspezifische Effekte gründet, sei für den Patienten egal: Wer heilt, hat Recht. Zudem seien die spezifischen Wirkungen von den unspezifischen oft gar nicht zu trennen. Ein Antibiotikum mag wirken, wenn es über das Internet bestellt wird, aber bei den Naturheilverfahren seien nun einmal Beziehungen wichtig – Anwender und Mittel seien eine Einheit.

Streitfall Doppelblindstudien. Viele Verfechter von Naturheilverfahren lehnen deshalb konsequente wissenschaftliche Untersuchungen wie etwa randomisierte Doppelblindstudien ab. Letztere wurden entwickelt, um die spezifische Wirkung einer Therapie zu messen – und die unspezifische Wirkung komplett außen vor zu lassen.

Mit solchen „künstlichen“ Studien, so die Kritik vieler Naturheilkundler, werde jedoch das unterschlagen, was die Medizin seit ihren Anfängen genutzt hat und auf was sich die Heilkunst der Ärzte schon immer mitgegründet hat: die Beziehung des Patienten zum Therapeuten. Ist der Trend zu den Naturheilverfahren nicht gerade dadurch entstanden, weil die Schulmedizin die Herzen der Menschen nicht mehr erreicht? Sollen die Naturheilverfahren den Irrtum der Schulmedizin jetzt – auf Drängen der Schulmedizin – wiederholen? Und setzt nicht auch die Schulmedizin zuhauf auf unspezifische Wirkungen – sei es über den „Professorenbonus“ oder über die Strahlkraft hochtechnischer Untersuchungen?

So fragt etwa Dr. Ellis Huber, der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer, warum nur das anerkannt werden solle, was „unabhängig von Beziehungen, seelischen oder geistigen Kräften und sozialer Lage wirkt“. Randomisierte Doppelblindstudien lehnt auch Dr. Huber als Standard zum Wirkungsnachweis in der Heilkunde ab und setzt dagegen: „Das Leben ist ein dynamisches, kommunizierendes Gewebe, ein Gewirr von Wechselwirkungen, in dem Geist und Materie, Leib und Seele miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen“.

Wichtige Wirkungen: nicht messbar. Gegner einer rigorosen wissenschaftlichen Überprüfung weisen auch auf das Passungsphänomen hin: Ein Verfahren wirkt dann am besten, wenn es zu den Erwartungen und der Persönlichkeit des Patienten passt. Der Patient braucht nicht die – nach exakten Methoden für den „Standardpatienten“ entwickelte – beste Therapie, sondern die für ihn richtige. Nur wer sich von einem Verfahren „angesprochen“ fühlt, wird dessen Potenzial nutzen können. Und wie sollen statistische Verfahren das überprüfen?

Viele Verfechter von Naturheilverfahren wollen sich deshalb allenfalls auf „weiche“ wissenschaftliche Überprüfungen einlassen – wenn die Wirkung von Naturheilverfahren geprüft werden solle, dann bitte schön der Gesamteffekt. Wo „Hülle und Inhalt“ zusammenwirken, solle auch die Wirkung des ganzen Pakets gemessen werden – anstelle von Doppelblindstudien, die auf den Nachweis einer spezifischen Wirkung abzielen, sollten Beobachtungsstudien durchgeführt werden, welche die mit dem Verfahren „unter dem Strich“ erzielten Besserungen messen.

Wissenschaftliche Prüfung: Pro!

Die Befürworter einer wissenschaftlichen Überprüfung der Naturheilverfahren halten dagegen: Vor der Empfehlung eines Medikaments oder Verfahrens müsse bekannt sein, ob dieses „aus sich heraus“ – also spezifisch – wirke. Man müsse wissen, ob ein Medikament nur wirkt, wenn man sich mit dem Arzt gut versteht oder auch dann, wenn man den Arzt nicht leiden kann. Was würden denn Patienten von Schulmedizinern halten, die sich weigern, ein Medikament zu testen, da dieses nur funktioniere, wenn ein Professor es verordne oder wenn der Arzt zumindest einen weißen Kittel trüge?

Und für einen solchen Nachweis, so die Verfechter eines wissenschaftlichen Herangehens, reiche die Erfahrung des Therapeuten nicht aus. „Dass dieses Medikament wirkt, sehe ich doch täglich in der Praxis“ ist kein Beweis für eine Wirkung über unspezifische Effekte hinaus. Und auch die oft bemühte „Stimme des Volkes“ hilft nicht weiter („Millionen zufriedene Anwender können nicht irren“) – Konsens ist kein Wirknachweis.

Zu einer verlässlichen Aussage über eine reproduzierbare (wiederholbare) Wirkung sind objektive Prüfungen unerlässlich, bei denen Zufall, Therapeut und Suggestion außen vor bleiben – die Einheit von Verfahren und Anwender soll aufgebrochen, die Verpackung vom Inhalt getrennt werden.

Und das schaffen nur randomisierte Doppelblindstudien (in diesen Studien werden die erzielten Besserungen mit denen eines Placebos verglichen). Nicht umsonst muss die Arzneimittelindustrie jedes Jahr Milliarden für diese Studien ausgeben – der spezifische Wirknachweis ist heute die Voraussetzung für die Medikamentenzulassung.

Dass objektive Wirknachweise grundsätzlich auch bei naturheilkundlichen, individuell wirkenden Verfahren wie etwa der Homöopathie erbracht werden können, zeigt folgendes Beispiel:

Drei homöopathisch arbeitende Hautärzte einer mittelgroßen Stadt bitten alle neu in ihre Praxen kommenden Patienten schriftlich um Teilnahme an einer Studie über die Wirkung der homöopathischen Behandlung bei Neurodermitis. Die Voraussetzung zur Teilnahme: Sollte sich bei der Konsultation die Diagnose einer Neurodermitis ergeben, so müssen sich die Patienten bereit erklären, statt eines homöopathischen Medikaments eventuell ein Placebo zu bekommen. Zu den Bedingungen der Studie gehört auch, dass die Patienten ihre Medikamente immer in einer bestimmten Apotheke abholen und sich nach einem Zeitraum von drei Monaten von einem unabhängigen Hautarzt untersuchen lassen.

Der Apotheker, bei dem sich die teilnehmenden Patienten ihre Verordnungen abholen, hat nun folgende Aufgabe: Auf allen mit einem roten „S“ markierten Verordnungen (das ist das vereinbarte Zeichen für „Studienteilnehmer“) prüft er das Geburtsdatum. Alle Patienten mit einer ungeraden Jahreszahl bekommen – in einer neutralen Verpackung – die verordneten homöopathischen Medikamente ausgehändigt, die mit einer geraden Jahreszahl ein gleich aussehendes Placebo. Der nach drei Monaten Behandlung aufzusuchende unabhängige Hautarzt dokumentiert die Befunde nach ihrem Schweregrad auf einer Skala von 1 bis 10 (ihm ist natürlich nicht bekannt, welche der Patienten homöopathisch behandelt wurden und welche nicht).

Sind ausreichend viele Patienten untersucht, kann nun der Studienleiter die Ergebnisse auswerten, d. h., die von dem unabhängigen Hautarzt erhobenen Befunde der Behandlung zuordnen. Findet er statistisch keinen Unterschied in den Hautbefunden zwischen Patienten aus „ungeraden“ und solchen aus „geraden“ Geburtsjahren, so ist eine spezifische Wirkung des verordneten Homöopathikums nicht anzunehmen.

Es gibt aber noch weitere Argumente für die wissenschaftliche Überprüfung:

  • Jede Behandlung bedeutet einen Eingriff in den Körper und die Seele des Patienten. Er investiert Vertrauen, Energie und Geld. Wenn eine Methode nur bei bestimmten Therapeuten funktioniert und bei anderen nicht, sollte der Patient dies wissen – und sich dann selbst entscheiden, ob er sich auf den Versuch einlässt.
  • Auch wenn unmittelbare Nebenwirkungen bei Naturheilverfahren selten sind: Patienten können auch bei sanften Verfahren zu Schaden kommen – vor allem dann, wenn wirksamere Therapien unterlassen werden.

Naturheilverfahren realistisch nutzen

Akut gefährliche oder schwer verlaufende Krankheiten sind grundsätzlich ungeeignet für eine Behandlung mit Naturheilverfahren. Diese Zurückhaltung ergibt sich aus dem Wirkprinzip vieler Naturheilmethoden: Wo Wirkung über eine Steigerung der Selbstheilungskräfte erzielt wird, können die entsprechenden Verfahren nur wirken, wenn solche selbstregulierenden Kräfte überhaupt noch greifen können. Ist der Organismus von einer schweren Erkrankung überwältigt, so kann er die Kraft zur Selbsthilfe zumindest in der akuten Phase nicht mehr aufbringen.

Generell gibt es Indizien, die Sie aufhorchen lassen sollten, wenn Sie eine bestimmte naturheilkundliche Therapie erwägen. Seien Sie deshalb zumindest skeptisch, wenn ein Therapeut:

  • Rasche, komplette Heilung verspricht. Wenn eine bestimmte Art der Behandlung oder Ernährung wirklich eine (chronische) Krankheit heilen könnte – sie hätte sich durchgesetzt, und zwar schon längst. Wenn es „zu gut klingt, um wahr zu sein“ ist es in aller Regel auch nicht wahr.
  • Alle schulmedizinischen Verfahren in Bausch und Bogen verdammt und darauf besteht, dass Sie alle schulmedizinischen Therapien unverzüglich abbrechen.
  • Vorgibt, mit einem bestimmten Verfahren alles behandeln zu können: Allergien, Depressionen, Diabetes und Krebs. Keine Medizin kann das.
  • Sich auf „bahnbrechende Erkenntnisse“ beruft und angeblich ein „Forschungsinstitut XY“ unterhält. Wenn das Verfahren wissenschaftlich so gut abgesichert ist, ist es auch bei Ärzten zumindest in der Diskussion: Fragen Sie nach!
  • Sich in einer Opferrolle darstellt – die Wahrheit werde unterdrückt, das Verfahren von der Pharmaindustrie „totgeschwiegen“. Pharmazeutische Zulassungsverfahren sind zwar langwierig, aber wirksame Therapien setzen sich durch.
  • Gleichzeitig noch Handel mit Medikamenten oder Apparaten betreibt.

Anbieter

Naturheilverfahren wurden bis vor 20 Jahren fast nur von Heilpraktikern angeboten. Inzwischen behandelt aber die Mehrzahl der Allgemeinmedizinerund Kinderärzte ebenfalls naturheilkundlich. Jährlich erwerben in Deutschland über 2 500 Ärzte eine Zusatzbezeichnung im Bereich der Komplementärmedizin wie Naturheilverfahren, Akupunktur, Homöopathie oder Chirotherapie/Manuelle Medizin. Wenn sich diese Bezeichnungen auf dem Praxisschild finden, bürgt das für eine entsprechende, von den Ärztekammern zertifizierte Ausbildung.

Ärzte dürfen aber auch ohne diese Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren anwenden.

Bei den ~ 16 000 in Deutschland praktizierenden Heilpraktikern gibt es solche geschützten Bezeichnungen für einzelne Naturheilverfahren bisher nicht. Heilpraktiker erlernen ihren Beruf an privaten Schulen, die Dauer und Qualität der Ausbildung ist – da gesetzlich nicht geregelt – unterschiedlich. Lediglich eine vom Gesundheitsamt ausgerichtete Prüfung ist gesetzlich vorgeschrieben.

Neben Heilpraktikern und Ärzten sind in Deutschland nur noch die Psychotherapeuten für die selbstständige Behandlung zugelassen. Einen Grenzfall bilden die Physiotherapeuten. Sie sind einerseits berechtigt, sich auch in schwierigen Methoden wie der Osteopathie weiterzubilden und prüfen zu lassen, andererseits dürfen sie diese aber nach aktueller Rechtslage nur auf Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers ausüben.

Neuerdings unterhalten auch einzelne Universitätskliniken komplementärmedizinisch arbeitende Ambulanzen, die insbesondere auf chronische Erkrankungen, Krebs und chronische Schmerzsyndrome spezialisiert sind (z. B. das Zentrum für naturheilkundliche Forschung an der Technischen Universität München).

Arzt oder Heilpraktiker? Grundsätzlich gilt: Ein Patient fährt mit der Person am besten, der er vertraut. Da Ärzte jedoch über ein breiteres medizinisches Wissen verfügen, ist eher gewährleistet, dass sie richtige Diagnosen stellen und Verschlechterungen rasch erkennen.

Die Kostenübernahme für naturheilkundliche Verfahren ist ein kompliziertes Thema, das von Kasse zu Kasse etwas unterschiedlich gehandhabt wird. Zudem unterscheiden sich Privatkassen und gesetzliche Krankenkassen und die neuerdings verfügbaren Zusatzversicherungen für naturheilkundliche Leistungen folgen ebenfalls eigenen Regeln. Vom Gesetzgeber sind zumindest die gesetzlichen Krankenversicherungen angewiesen, nur wissenschaftlich fundierte Therapien zu erstatten.

Neuerdings bezahlen manche gesetzlichen Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen eine homöopathische Behandlung und – bei Kindern unter 12 Jahren – sogar die homöopathischen Arzneien. Ähnliches gilt für die Akupunktur, die zumindest für bestimmte Indikationen zur Kassenleistung geworden ist (Akupunktur). Nicht verschreibungspflichtige, naturheilkundliche Arzneimittel müssen seit 2004 generell selbst bezahlt werden. Der Besuch beim Heilpraktiker wird grundsätzlich nicht erstattet.

Bei diesen undurchschaubaren Verhältnissen kann nur eines geraten werden: Mit der Kasse reden, welche Leistungen sie übernimmt und welche nicht – am besten vor Aufnahme einer Therapie. Einige Ärzte lehnen übrigens die Abrechnung über die Kasse auch dann ab, wenn sie genehmigt wird: Denn bei der Abrechnung als Kassenleistung (nach dem EBM) erhalten sie viel weniger Geld als bei der Abrechnung als Selbstbezahlung nach GOÄ. Oder der Arzt verlangt Zuzahlungen, was allerdings oft sogar rechtswidrig ist, siehe IGeL-Medizin.

Für Privatkassen sind die Regelungen anders – immerhin bieten jüngere Verträge eine gewisse Rechtssicherheit, weil dort bestimmte Verfahren explizit in Bezug auf die Kostenerstattung ein- oder ausgeschlossen sind. Die Verhältnisse in der Schweiz und in Österreich sind nicht weniger kompliziert. Auch hier gilt: nachfragen!

Verhältnismäßigkeit der Mittel

Auch sanfte Therapien können einschneidend sein. Leider begegnen einem auch in der Naturheilkunde immer wieder Fälle, in denen mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Therapeuten, die einerseits ein Antibiotikum für eine Mittelohrentzündung als zu „eingreifend“ bewerten, scheuen andererseits – in bester Absicht! – nicht davor zurück, ihren Patienten z. B. ausgefallene Diätpläne oder monatelange „Umstimmungstherapien“ zu verordnen.

Prüfen Sie deshalb vor jeder Therapie auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Genauso wie man bei leichten Schmerzen nicht sofort ein Schmerzmittel einsetzt, müssen bei einer Schramme oder einem Mückenstich nicht immer gleich „die Kügelchen“ gezückt oder eine Akupressursitzung durchgeführt werden. Vertrauen Sie auch einmal auf die Natur – wäre der Körper nicht auf die normalen Belastungen des Alltags vorbereitet, wäre der Mensch schon vor vielen Generationen ausgestorben.

Die sanfte „Verblödung“: Naturheilverfahren in den Medien

Die Drehständer vor den Buchhandlungen und Apotheken sind mit Büchern über Naturheilverfahren gut gefüllt und auch im Internet wimmelt es von Informationsangeboten. Viele Bücher greifen allerdings nur die neueste Modewelle auf und die Informationen im Internet sollen vor allem Appetit machen auf eines: ein bestimmtes Produkt zu kaufen, einen bestimmten Therapeuten zu wählen oder ein bestimmtes Verfahren anzuwenden. Dieses Muster ist im Bereich der Diäten seit Jahrzehnten bekannt, hat sich aber seit den Publikumserfolgen von Schüßlersalzen, Apfelessig und Eigenurin auch bei den Naturheilverfahren etabliert.

Da hilft nur eines: Wenn Sie von angeblichen Wunderwirkungen lesen, prüfen Sie vor allem: Wer betreibt die Seite? Wer verbirgt sich hinter dem „Institut“ oder dem angegebenen „Beraterteam“? Was ist der Zweck der Seite? Soll informiert, geworben oder etwas verkauft werden?

Öffentliche Aufklärung. Leider stecken die Bemühungen der öffentlichen Hand zur Aufklärung im Bereich Naturheilverfahren noch in den Kinderschuhen. Wer sich heute über den Forschungsstand zu einzelnen Verfahren informieren will, findet die besten Informationen noch immer auf englischsprachigen Internetseiten. Der Grund liegt darin, dass in den USA und in Großbritannien schon seit vielen Jahren erhebliche öffentliche Mittel in die Erforschung und Bewertung von Naturheilverfahren investiert werden. So ist insbesondere das mit einem Jahresbudget von über 100 Millionen Dollar ausgestattete National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM) am US-amerikanischen National Institute of Health das weltweit führende Institut zur Bewertung und Patientenberatung im Bereich der Naturheilverfahren. Für Patienten mit Englischkenntnissen lohnt sich ein Besuch immer.

Das NCCAM hat zudem an einem Internetportal mitgewirkt, das den Zugriff auf Forschungsergebnisse auch für Laien erleichtert und das nicht nur von Ärzte sondern auch von Patienten genutzt werden kann.

Im deutschsprachigen Raum hat sich unter anderen die Stiftung Warentest der Bewertung von Naturheilverfahren verschrieben. Das in Buchform veröffentlichte Resultat wird zwar regelmäßig von den Verfechtern der „durchgefallenen“ Verfahren wegen mangelnder Transparenz und teilweise nicht plausibler Schlussfolgerungen heftig kritisiert, ist aber dennoch der methodisch bisher brauchbarste Beitrag zu diesem Thema.

Bewertung der Komplementärmedizin in Gesundheit heute

Wie schwer es ist, die Heilverfahren objektiv zu bewerten, wurde bereits ausgeführt. Bewertungen sind Momentaufnahmen und können dem Einzelfall nicht immer gerecht werden.

Wir haben uns entschlossen, für Gesundheit heute Informationen zu Naturheilverfahren an der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Datenlage auszurichten. Als ausreichend abgesichert und mitteilenswert betrachten wir Informationen, die durch wissenschaftlich hochwertige Methoden überprüft wurden. Um diesem Standard zu genügen, berücksichtigen wir insbesondere die von den Mitarbeitern des National Center for Complementary and Alternative Medicine erarbeiteten Bewertungen sowie die Cochrane Reviews – das sind nach den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin erstellte zusammenfassende Auswertungen des gegenwärtigen wissenschaftlichen Datenbestands. Liegen keine wissenschaftlichen Einschätzungen zu einer bestimmten Therapie vor, so wird das erwähnt.

Wir sind uns bewusst, dass dieses Vorgehen eine Auslese bedeutet. Denn zum einen ist die wissenschaftliche Überprüfung von Naturheilverfahren in keiner Weise abgeschlossen. Im Gegenteil: Sie hat erst vor etwa 15 Jahren ernsthaft begonnen. Zum anderen zielt die wissenschaftliche Überprüfung von Naturheilverfahren vor allem darauf ab, spezifische Wirkungen zu erkennen. Viele Naturheilverfahren wirken aber vor allem über unspezifische Wirkungen, die sich in vielen wissenschaftlichen Studien zwar nicht abbilden, im individuellen Fall dennoch entscheidend sein können.

Wir wollen eine fundierte Orientierungshilfe bieten – wenn ein bestimmtes Verfahren bei einer Krankheit nicht aufgeführt ist, heißt dies nicht, dass es unwirksam ist oder dass wir dieses Verfahren ablehnen, sondern schlicht, dass uns keine Informationen dazu vorliegen, deren Verallgemeinerung sich nach derzeitigem wissenschaftlichem Kenntnisstand rechtfertigen ließe.