Halswirbelsäulensyndrom und Schleudertrauma

Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom, Zervikalsyndrom): Sammelbezeichnung für uncharakteristische Beschwerden im Bereich von Halswirbelsäule und Nacken durch verschleißbedingte Erkrankungen oder andere Ursachen. Betroffen sind oft 30- bis 60-Jährige, die berufstätig sind. Strahlen die Schmerzen in Schulter und Arm aus, liegt ein Schulter-Arm-Syndrom (Cervicobrachialgie) vor. Heftige, akute Schmerzzustände mit Muskelhartspann und dadurch erzwungener Fehlhaltung werden als akuter Schiefhals bezeichnet. Im Zentrum der Behandlung stehen physiotherapeutische Maßnahmen. Lässt sich die Ursache nicht beseitigen, kehren die Beschwerden oft wieder.

Schleudertrauma. (Beschleunigungsverletzung, HWS-Distorsion, Peitschenschlagverletzung): Zerrungen der Muskeln und Bänder an der Halswirbelsäule, verbunden mit schmerzhaften Verspannungen der Nacken- und Halsmuskulatur. Ursache ist definitionsgemäß eine unvorhergesehene Beschleunigung, meist von hinten, die eine plötzliche Kopfbewegung gegenüber dem fixierten Rumpf verursacht, z. B. bei Auffahrunfällen. Die Beschwerden halten in der Regel wenige Wochen an, werden aber in 2–3 % der Fälle auch chronisch.

Leitbeschwerden

HWS-Syndrom:

  • Steifigkeitsgefühl („steifer Hals“) und/oder Nackenschmerzen, oft mit Ausstrahlung in (Hinter-)Kopf, Schultern und Arme
  • Meist tastbare Verhärtung der Nackenmuskulatur, häufig mit einer schmerzhaft eingeschränkten Kopfbeweglichkeit
  • Gelegentlich Schwindel, Ohrgeräusche oder Sehstörungen
  • Selten Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen an Schultern oder Armen

Schleudertrauma:

Gleiche Beschwerden wie beim HWS-Syndrom, jedoch im Anschluss an einen (Auffahr-)Unfall; oft auch erst Stunden bis Tage später einsetzend.

Wann zum Arzt

  • Nach ein bis zwei Wochen bei anhaltenden Schmerzen ohne vorangegangenen Unfall
  • Innerhalb einiger Tage bei anhaltenden Gefühlsstörungen an Schulter oder Arm, Schwindel, Ohrgeräuschen
  • Innerhalb eines Tages bei Lähmungserscheinungen, Sehstörungen oder nach einem Unfall

Die Erkrankung

An der Entstehung von akuten wie chronischen Nackenbeschwerden sind zahlreiche Faktoren beteiligt, einzeln oder in Kombination:

  • Verschleißbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule, z. B. Bandscheibenschäden, Spinalstenose oder Arthrosen der Zwischenwirbelgelenke (Facettensyndrom)
  • Blockierungen an der Halswirbelsäule
  • Muskelverspannungen aufgrund der oben genannten Erkrankungen, psychischer Anspannung oder „falscher“ Bewegungen
  • Rheumatische Erkrankungen, z. B. Morbus Bechterew oder Fibromyalgie

Ein akuter Schiefhals macht sich oft nach dem morgendlichen Aufwachen bemerkbar, möglicherweise als Folge einer ungünstigen Kopflage im Schlaf („Verliegen“). Je nach Höhe des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts strahlen die Schmerzen in unterschiedliche Körperregionen aus, so von den ersten zwei Halswirbeln in den Kopf, vom 3. bis 5. Halswirbel in die Schulter, von den unteren Halswirbeln in Schulter und Arm bis zum Kleinfinger. In diesen Regionen, in die die Schmerzen ausstrahlen, kann es zudem zu Gefühlsstörungen, Lähmungserscheinungen oder Sehstörungen kommen. Dies sind Beschwerden, die eine rasche ärztliche Behandlung erfordern. Ein einfacher, akuter Schiefhals ohne Begleitbeschwerden heilt meist von selbst nach drei Tagen aus. Langsam zunehmende Beschwerden werden dagegen ohne Behandlung oft chronisch, insbesondere dann, wenn ihre Ursache bestehen bleibt.

Häufige Ursache eines akut auftretenden HWS-Syndroms sind Beschleunigungsverletzungen. Führt eine Beschleunigung, v. a. von hinten, zu einer ruckartigen und unerwarteten Beugung und Überstreckung der Halswirbelsäule, z. B. bei einem Autounfall, beim Kampfsport oder Autoscooterfahren, verursacht sie häufig eine Zerrung der dortigen Bänder und Muskeln. Fast im gleichen Augenblick ist zu spüren, wie sich die Nacken- und Halsmuskulatur blitzartig verspannt. Dieser schmerzhafte Vorgang wird durch einen Reflex ausgelöst, der dem lebenswichtigen Schutz der Halswirbelsäule dient; er sorgt dafür, dass nur selten Verletzungen an den Bandscheiben oder gar am Rückenmark auftreten. Meist klingen die Beschwerden – mit oder ohne Behandlung – innerhalb einiger Tage wieder ab. Gelegentlich gehen sie jedoch in langwierige Nackenschmerzen über, oft mit Ausstrahlung in Kopf und Arme. Solche Beschwerden sind schwer zu fassen und nachzuweisen, da sie meist eine starke psychische Komponente enthalten. Diese erschwert die Beurteilung von Schmerzensgeldklagen, die oft in diesem Zusammenhang erhoben werden.

Das macht der Arzt

Je nach Ursache und Ausmaß der Beschwerden zeigt die körperliche Untersuchung eine verminderte oder (selten) erhöhte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, neurologische Störungen, Klopfschmerz über den Dornfortsätzen und/oder Druckschmerzpunkte, die von Muskelverspannungen herrühren. Bei Beschleunigungsverletzungen sind zusätzlich Röntgen und gelegentlich auch CT oder Kernspin erforderlich, um gefährliche Verletzungen mit drohender Querschnittlähmung, z. B. Wirbelbruch, auszuschließen und Vorschäden zu dokumentieren. Dies dient auch der Klärung versicherungsrechtlicher Fragen.

Starke Schmerzen erfordern anfangs oft eine Behandlung mit Schmerzmitteln, z. B. NSAR, eventuell auch mit muskelentspannenden Medikamenten, z. B. Musaril®. Bei Muskelverspannungen helfen außerdem physiotherapeutische Dehnungsgriffe, Kälte- oder Wärmeanwendungen (z. B. Fango). Massagen sind allenfalls kurzfristig wirksam. Blockierungen lassen sich meist durch Griffe der manuellen Therapie lösen. Das Tragen spezieller Halsbandagen (Zervikalstütze, Cervicalstütze, „Halskrause“) empfiehlt sich allenfalls für wenige Tage, um den akuten Schmerz zu lindern. Es hat sich gezeigt, dass eine längere Tragedauer den Heilungsverlauf nach Beschleunigungsverletzungen eher verzögert. Wenn die Beschwerden nicht innerhalb von ein bis zwei Wochen nach einem Unfall abklingen, wiederholt der Arzt die anfänglichen Untersuchungen oder ergänzt sie in Zweifelsfällen, um bisher nicht diagnostizierte Begleitverletzungen zu erkennen.

Bei chronischen Beschwerden werden verschiedene Therapiemaßnahmen eingesetzt: TENS-Geräte (Transkutane Elektrische Nervenstimulation), Krankengymnastik, Injektion von lokalen Betäubungsmitteln in die verspannte Muskulatur oder neben Nerven (Nervenblockade). Gelegentlich empfiehlt der Arzt eine psychotherapeutische Behandlung, wenn er psychische Ursachen (z. B. verdrängte Konflikte) vermutet. Sind für chronische Beschwerden verschleißbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule verantwortlich, helfen manchmal Operationen, wenn konservative Therapiemaßnahmen versagen.

Selbsthilfe und Vorsorge

Bei akuten Schmerzen hilft anfänglich oft Kühlung, z. B. mit feuchtkalten Tüchern oder Quarkwickeln, mehr zur Herstellung von Quarkwickeln, um den Schmerz zu lindern. Manche Betroffene profitieren eher von Wärme; sie empfinden es als angenehmer, den schmerzenden Nacken z. B. durch Schals, Rollkragenpullover, Kirschkernkissen oder Kartoffelwickel warmzuhalten. Besonders wirksam ist die heiße Rolle. Auch bei chronischen Schmerzen sind Wärmebehandlungen hilfreich, bei Bedarf täglich.

Starke Verspannungen der Nackenmuskulatur reagieren oft gut auf eine Übung, die nach dem Prinzip der Druckpunktbehandlung arbeitet. Legen Sie sich dazu in Rückenlage auf den Boden, den schmerzenden Nacken auf Tennisbälle gebettet. Der entstehende Druck ist zu Beginn ungewohnt und oft unangenehm, führt jedoch nach einiger Zeit zu einer deutlichen Entspannung der Muskulatur.

Für die Vorbeugung chronischer Nackenbeschwerden hat insbesondere die Arbeitsplatzergonomie große Bedeutung. Aber auch andere Aspekte eines rückenschonenden Verhaltens sind zu beachten.

Komplementärmedizin

Akupunktur. Das Schulter-Arm-Syndrom gehört zu den Krankheitsbildern, für die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) explizit die Behandlung mit Akupunktur empfiehlt; positive Erfahrungsberichte liegen aber auch für alle anderen Beschwerdenkomplexe des HWS-Syndroms vor.

Entspannungsverfahren. Ist es (auch) der Alltagsstress, der buchstäblich im Nacken sitzt, können Entspannungsübungen zum Abbau von permanenter Anspannung wertvolle Dienste leisten. Vor allem die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson hilft, den Wechsel von Anspannung und Entspannung bewusst zu erleben und das Erlernte dann bei Bedarf im stressbelasteten Alltag umzusetzen. Ebenso sind Yoga, andere fernöstliche Entspannungsmethoden oder Autogenes Training besonders empfehlenswert.

Kraniosakraltherapie. Ein chronisches Beschwerdebild, das vom Nacken- bzw. Halswirbelsäulenbereich ausgeht, ist die Domäne der Kraniosakraltherapie. Auch wenn bislang nicht endgültig geklärt ist, welcher Wirkmechanismus ursächlich für eine Linderung der Beschwerden verantwortlich ist, profitieren viele Patienten zweifellos schon allein vom tief greifenden entspannenden Effekt, den die feinen Manipulationen an Kopf bzw. Schädelknochen in der Regel bewirken.