Reizmagen

Reizmagen (Reizmagensyndrom, funktionelle Dyspepsie): Oberbegriff für wiederkehrende, individuell stark variierende (Ober-)Bauchbeschwerden (z. B. Völle- und Druckgefühl in der Magengegend, Magenkrämpfe, Aufstoßen), für die sich keine organische Ursache finden lässt; oft besteht ein zeitlicher Zusammenhang mit psychischen Belastungssituationen. 25 % der Deutschen – Frauen doppelt so oft wie Männer – sind betroffen, davon leiden 10 % zusätzlich unter den Symptomen eines Reizdarms. Die Häufigkeit der Beschwerden nimmt mit steigendem Alter zu. Sind die auslösenden Faktoren bekannt und können weitgehend vermieden werden, ist eine Besserung, aber nur selten eine Heilung möglich.

Leitbeschwerden

  • Brennende, krampfartige oder dumpfe Schmerzen im Oberbauch
  • Druckgefühl in der Magengegend, Völlegefühl, vorzeitiges Sättigungsgefühl bei der Nahrungsaufnahme
  • Eventuell Aufstoßen und Sodbrennen
  • Eventuell Übelkeit

Wann zum Arzt

In den nächsten Tagen, wenn sich die Beschwerden nicht bessern.

In den nächsten Stunden bzw. sofort, wenn quälende Bauchschmerzen bestehen und Fieber hinzukommt.

Die Erkrankung

Lautet die Diagnose „Reizmagen“, so konnte keine Ursache an den Organen festgestellt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Betroffene sich seine Beschwerden einbildet. Offenbar spielen neben psychischen Faktoren auch bestimmte Funktionsstörungen eine Rolle, die allerdings bislang nicht mit unseren diagnostischen Mitteln geklärt werden können. Beispielsweise liegt bei einigen Betroffenen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Reizen (erniedrigte Schmerzschwelle) vor. In diesem Fall wird z. B. das Vorhandensein von Luft im Magen, das von vielen Menschen gar nicht wahrgenommen wird, als schmerzhaft empfunden. Ebenso können Veränderungen der Motorik, z. B. eine verlangsamte oder beschleunigte Magen-Darm-Passage, vorliegen und/oder die Magenmuskulatur arbeitet zu heftig.

Unklar ist die Rolle der Magensäure beim Reizmagen: Bei 20 % der Betroffenen besteht ein Magensäureüberschuss, bei 30 % lässt sich zudem ein Befall des Magens mit dem Bakterium Helicobacter pylori (Ulkuskrankheit) nachweisen. Allerdings bessern sich die Beschwerden nach einer erfolgreichen Eradikationstherapie nur bei 8 % der Patienten. Andererseits kann auch eine Unterversorgung mit Magensäure zum Reizmagen führen.

Manchmal werden Reizmagensymptome durch den Verzehr bestimmter Nahrungsmittel oder durch die magenschleimhautreizende Substanzen, z. B. Alkohol und Coffein, hervorgerufen bzw. verstärkt.

Unabhängig davon, welche Funktionsstörungen im Einzelfall vermutet oder sicher identifiziert werden – unbestritten ist ein Wechselspiel mit psychischen Faktoren; dabei sind Ursache und Wirkung nicht immer scharf voneinander abzugrenzen. Beispielsweise können sich Schmerzwahrnehmung oder Magen-Darm-Motorik im Zusammenhang mit einer psychovegetativen Reaktion auf Stress oder auf eine seelische Belastung so ändern, dass Symptome des Reizmagens die Folge sind. Umgekehrt verstärken Reizmagenbeschwerden psychische Anspannung und Unausgeglichenheit. Bis zu 10 % der Reizmagenpatienten leiden gleichzeitig unter Angsterkrankungen oder einer Depression

Heterogenes Krankheitsbild. Typisch ist ein unklares Krankheitsbild. Bei einem Großteil der Betroffenen dominieren brennende, krampfartige oder dumpfe Schmerzen im Oberbauch, die vornehmlich im Hungerzustand auftreten bzw. sich durch die Nahrungsaufnahme verbessern. Andere Betroffene klagen vor allem über ein vorzeitiges Sättigungs- oder Völlegefühl, einen aufgetriebenen Bauch und Blähungen bis hin zu Übelkeit und Brechreiz nach der Nahrungsaufnahme. Mitunter bestehen gleichzeitig Symptome eines Reizdarms. Ebenso variieren Intensität und Dauer der Beschwerden; dabei leidet die Mehrzahl unter zeitweise auftretenden, mäßig starken Symptomen. Es kommt jedoch vor, dass andauernde heftige Beschwerden die beruflichen und privaten Aktivitäten erheblich beeinträchtigen.

In Einzelfällen kommen weitere unspezifische Symptome hinzu, z. B. Müdigkeit, Erschöpfung und vermehrtes Schwitzen. Anders als beim Reizdarm sind Veränderungen des Stuhlgangs beim Reizmagen - z. B. Durchfall, Verstopfung - kaum zu beobachten.

Das macht der Arzt

Diagnosesicherung. Reizmagen ist eine Ausschlussdiagnose; d. h. der Arzt stellt diese nach sorgfältigem Ausschluss anderer Erkrankungen. Zum vollständigen Untersuchungsprogramm - das allerdings beim niedergelassenen Internisten oder Hausarzt aus Budgetgründen kaum vollständig durchführbar ist - gehören ein Ultraschall des Bauchraums, die Magenspiegelung sowie eine Laboruntersuchung von Blut und Stuhl. So können andere in Frage kommende Erkrankungen, z. B. Magenschleimhautentzündung, Ulkuskrankheit, Refluxkrankheit und Magenkrebs, ausgeschlossen werden. Bei Verdacht auf eine Milchzucker-Unverträglichkeit führt der Arzt einen Laktose-Toleranztest durch. Sie kann sicher ausgeschlossen werden, wenn sich unter einer milchzuckerarmen (laktosearmen) Kost die Symptome nicht zurückbilden. Bei gleichzeitig bestehenden Reizdarmsymptomen ist eine Darmspiegelung notwendig.

Therapie. Wichtigste Therapie ist eine Änderung der Lebensführung. Da Medikamente allenfalls die Beschwerden lindern, die eigentliche Funktionsstörung aber nicht beseitigen, wird der Arzt nur bei starken, länger anhaltenden Symptomen eine medikamentöse Behandlung vorschlagen. Infrage kommen Protonenpumpenhemmer und/oder Antidepressiva, die durch eine Erhöhung der Schmerzschwelle schmerzlindernd wirken sollen. Bei leichteren Beschwerden können auch standardisierte Pflanzenkombinationen, wie z. B. Iberogast®, versucht werden. Manchmal helfen auch krampflösende Medikamente wie Mebeverinhydrochlorid (Duspatal®).

Ergeben sich Hinweise, dass die Symptome durch bestimmte Nahrungsmittel ausgelöst werden, sollten diese eingeschränkt oder vermieden werden. Gegebenenfalls kann auch eine Ernährungsberatung zur Analyse und Änderung eines möglicherweise ungünstigen Essverhaltens hilfreich sein.

Prognose

Der Reizmagen ist lästig, aber nicht bedrohlich. Es gibt keinen Anlass zur Sorge, man könnte an einer schweren tödlichen Erkrankung leiden oder der Reizmagen führe zu schweren Folgeerkrankungen.

Selbsthilfe

Sie sollten natürlich alles versuchen, Ihre Beschwerden zu reduzieren. Maßnahme Nummer eins ist dabei die konsequente Selbstbeobachtung, um mögliche Auslöser bzw. zeitliche Zusammenhänge mit (belastenden) Situationen des täglichen Lebens zu erkennen und dann zu vermeiden. Führen Sie deshalb ein Tagebuch, in dem Sie notieren, was und wann Sie essen und wie stark und durch welche Umstände bzw. Situationen Ihre Beschwerden auftreten. Es kann durchaus vorkommen, dass Sie alle Tipps und Therapien versucht haben und Ihre Beschwerden trotzdem unverändert bleiben. Mitunter kann auch Ihr Arzt nichts anderes tun, als Sie in einem solchen Fall zu ermutigen, diese Erkrankung hinzunehmen. Denn manchmal nimmt allein das schon einen Teil des Drucks weg. Darüber hinaus zeigen klinische Erfahrungen, dass sehr viele Beschwerden im Laufe der Zeit (Wochen, Monate oder auch Jahre) von selbst wieder verschwinden.

Unverträgliche Nahrungsmittel meiden. Um herauszufinden, ob und welche Nahrungsmittel Beschwerden hervorrufen, lassen Sie jedes „verdächtige“ Nahrungsmittel einzeln für einige Tage konsequent weg. Bessern sich daraufhin die Beschwerden, sollten Sie dieses in Zukunft meiden.

Verzicht auf Fettes und Süßes. Prinzipiell sind kleine ballaststoffreiche Mahlzeiten, langsames Essen und der Verzicht auf sehr fette und sehr süße Speisen empfehlenswert, um die Beschwerden zu mildern.

Stehen bei Ihnen Blähungen im Vordergrund, verzichten Sie auf den Verzehr von Nahrungsmitteln, die eine verstärkte Gasproduktion bewirken.

Wärmeanwendungen. Bei leichten Schmerzen helfen oft Wärmeanwendungen wie Wärmewickel, ein warmes Bad oder eine Wärmflasche, die auf den Oberbauch gelegt wird.

Komplementärmedizin

Der Krankheitsverlauf von Reizsyndromen des Verdauungstraktes lässt sich mit komplementärmedizinischen Therapien oft günstig beeinflussen. Am besten wirken sie, wenn gleichzeitig die Ernährungsgewohnheiten umgestellt werden. Eine „klassische“ komplementärmedizinische Behandlung des Reizmagens oder Reizdarms gibt es allerdings nicht. Welche Maßnahmen im Einzelnen geeignet sind, muss individuell herausgefunden werden.

Pflanzenheilkunde. Zur Anregung der Verdauung sowie bei Appetitlosigkeit, Völlegefühl und Magendruckschmerz helfen Teezubereitungen mit bitterstoffhaltigen Bestandteilen, wie Enzianwurzel, Benediktenkraut, Tausendgüldenkraut, Angelikawurzel oder Chinarinde. Magenberuhigend wirken Tees mit Kamille, Schafgarbe oder Pfefferminze.

Entspannungsverfahren. Entspannungsverfahren und Mind-Body-Therapien. Zum Abbau bzw. zum besseren Umgang mit Stress haben sich Entspannungsmethoden - wie z. B. Autogenes Training, Yoga oder Muskelrelaxation nach Jacobson - bewährt. Tiefgreifender sind Mind-Body-Therapien: Beispielsweise bietet ein spezielles Stressbewältigungs- oder Angstbewältigungstraining die Möglichkeit, stressfördernde Verhaltensweisen zu erkennen und diese dann gezielt zu verändern.

Biofeedback. Verschiedene Studienergebnisse haben eine Besserung der Beschwerden durch Biofeedback nachgewiesen. Besonders wirksam ist die Kombination von Biofeedback mit regelmäßigen Entspannungsübungen.

Homöopathie. Die Homöopathie kennt eine Reihe von magenwirksamen Homöopathika, z. B. Nux vomica, Pulsatilla oder Sulfur. Zur Behandlung eines Reizmagensyndroms ist eine individuelle Konstitutionstherapie jedoch im Allgemeinen sinnvoller als eine homöopathische Akutbehandlung.

Akupunktur. Es liegen Erfahrungsberichte vor, nach denen die Akupunktur Reizmagenbeschwerden tatsächlich lindern kann.